Kammer-Kino: Lulu Live

Manche Dinge sind eigentlich sehr einfach: Wer seinen Blick zwei Stunden lang auf eine Leinwand richten will, kauft sich eine Kinokarte und macht es sich mit Getränk und Süßkram im Lichtspielhaus bequem.

Dank Lulu Live, einer Wedekind-Adaption unter der Regie des Belgiers Luk Perceval, ist ausgiebige Leinwandbetrachtung nun auch in den Münchner Kammerspielen möglich. Als nichts anderes präsentiert sich Percevals Bearbeitung nämlich: Jegliches Bühnengeschehen (Lulu) findet hinter einer Leinwand statt und wird per Videokamera (live) auf den Großschirm übertragen, der gleichzeitig auch als Projektionsfläche für einen simultan ablaufenden Erotik-Chat dient.

Solche Bühnentechnik öffnet dem Regisseur, der 2001 mit seinem Schlachten!-Projekt große Erfolge im gesamten deutschsprachigen Raum feiern konnte, natürlich gewaltige audiovisuelle Gestaltungsspielräume und die Möglichkeit zur Erzeugung einer überlebensgroßen Bilderwelt. Doch alle Verfremdungs- und Verzerrungstricks können das Publikum über die dramaturgische Leere des Lulu-Schattenspiels kaum hinwegtäuschen. Nach anfänglichem Amusement über den Internet-Chat (Ficken! Fotze! Schwanz!) setzt über die schauspielerische Video-Installation gähnende Langeweile ein, welche andauert, bis sich lediglich in der Schlußviertelstunde so etwas wie eine Handlung einstellt.

Entsprechend die Reaktion des weniger von der grenzwertigen Sprache des Porno-Business geschockten als wohl vielmehr von Percevals Arbeit enttäuschten Publikums, das nach und nach begann, sich vom Leinwandgeschehen ab- und der Eigenbeschäftigung zuzuwenden. Ein geschätztes Fünftel des Publikums verließ - scheinbar im Gegensatz zum Premierenabend - die Kammerspiele vorzeitig. (Lulu-Sprech: Das_Publikum has left the conversation.)

Und auch die Schauspieler, darunter immerhin Routiniers wie Peter Brombacher, Stephan Bissmeier, oder auch Neu-Filmstern Julia Jentsch schienen über ihren Auftritt nicht gerade glücklich zu sein: Fast ein bißchen verlegen nahmen sie den kargen Schlußapplaus des Publikums entgegen.

Immerhin, sie taten es vor der Leinwand.

Lulu Live von Feridun Zaimoglu/Günther Senkel
in den Münchner Kammerspielen

Regie: Luk Perceval
Dramaturgie: Marion Tiedke
Mit: Julia Jentsch, Peter Brombacher, Bernd Grawert, Stephan Bissmeier, Oliver Mallison, Henriette Schmidt, Anette Paulmann, Hildegard Schmahl, Christoph Luser
Nächste Vorstellungen: 02.11.05, 11.11.05, 16.11.05

Rezension der Stuttgarter Zeitung.

Kommentare

Neuen Kommentar hinzufügen
Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.