Die ewig unverstandene Frau: Premiere von Medeia im Residenztheater

Das Stück ist seit 2500 Jahren auf dem Markt – gleichwohl konnte die "Medeia" (Medea) von Euripides in der Regie von Tina Lanik am 23. November das seit Dornschen Zeiten illuster und teils spaßig-schräg auftretende Premierenpublikum im Residenztheater nicht bannen.

Foto Premiere Medeia im Prinzregententheater München

Stephanie Leue gab vor dem Plastikzaun ihrer blutroten Seelenbaustelle, im Skelett des Status und Glück der Vergangenheit begründenden Argonautenschiffes und auch vor dem Stapel entladener Paletten, mal verwundbar im Höschen, dann im Trench als aller Kollegin und Nachbarin die Titelfigur.

Ihre prägenden Opfer der Vergangenheit wurden mitgeteilt, nicht miterlebt; Frontdeklamation mit einigen Rollen seitwärts anstelle Einbeziehung in die Entwicklung.

Foto Premiere Medeia im Prinzregententheater München

Der Chor der Korintherinnen als Gegenpol war in der hiesigen Konstruktion nur einer Person (der in diesem Theater inzwischen wenig überraschenden Barbara Melzl) notwendig undemokratisch einflusslos. Grandios allerdings die den Bogen zur eindringlichen Todesfuge von Paul Celan schlagende Klage im Epilog.

Die umgebenden Figuren nicht homogen: Jason (Rainer Bock) als permanent undifferenziert seifiger cooler Unsympath, die Botin (Lena Dörrie) in einer Mischung aus Sprinterin im Finish und Sportreporterin zugleich arg geschäftsmäßig erregt, obgleich nichts Sportliches zu berichten war. Hunstein schmolz als Hunstein.

Foto Premiere Medeia im Prinzregententheater München

Alles umwoben von schon bekannten Einfällen: der annähernde Auftritt in und aus dem Publikum, die Szene in der dritten Dimension hoch auf dem Schiffsdeck, naturalistisches Kotzen, flügelausspannende Sphärenmusik, Lochscheibenbeleuchtung zur Himmelfahrt. Viel Mikro statt Staatsschauspielerstimmkraft.

Klassischer und gleichmäßiger Beifall bei Mitnahme des Kindleineffekts der kleinen Statisten. Dankeschön dem großen Euripides.

Foto oben: Stephanie Leue, Foto Mitte: Stephanie Leue, Barbara Melzl, Foto unten: Rainer Bock, Barbara Melzl, Stephanie Leue. Alle Fotos von Thomas Dashuber

Kommentare

David am Fr., 24.11.2006 - 18:41

Eine Frage bleibt offen: warum werden Texte, die von Theaterstücken handeln (insbesondere Kritiken), immer gleich so sinnfrei und prätentiös?

Helga am Sa., 16.12.2006 - 00:08

Ich fand die euripideische Medeia sehr gut getroffen. Auch die stellenweise Frontdeklamation ist durchaus ein Stilmittel des griechischen Theaters. Die Figuren hin und hergerissen. Die Bühne, die das ebenfalls spiegelt. Der Grat zwischen griechischer Tragödie und Pop-Theater zwar schmal, aber nie abstürzend.