In der U-Bahn sind die Fenster für das Licht semipermeabel und deshalb für den Menschen ein guter Zeitvertreib. Sitzt man gelangweilt in der Bahn, bietet sich im Licht der Station meist ein Menschenscan an: Die Lederhose steigt ein, der Fickmich-Stiefel aus. Der eine schlendert, die andere hetzt. Der eine Hintern wackelt, der andere ist kaum vorhanden, was natürlich für Mann und Frau gilt.
Fährt die Bahn dann in den Tunnel gibt es zwei Programme im Fenster-TV. Blickt man hindurch bietet der Entspannungskanal das einlullende Auf und Ab der Leitungen, die an der Tunnelwand hängen. Zuckend hopsen sie zu ihren Halterungen hoch, hängen wieder durch und hops sind sie wieder an der Halterung – geradezu meditativ.
Schaltet man auf jenes Licht um, das vom Fensterglas reflektiert wird, kann man Spanner-TV gucken. Spanner-TV hat den Vorteil, dass es die wenigsten nutzen und man in Ruhe die Menschen beobachten kann.
Sitzt mir beispielsweise eine verstörend gut aussehende Frau auf dem Vierer gegenüber ist der direkte Blick Tabu. Die Frau weiß, wie gut sie aussieht und ihr demonstrativ kühler Blick läßt vermuten, dass sie es ob ihrer Schönheit gerade in öffentlichen Orten wie der U-Bahn nicht leicht hat. Alle – auch die Frauen – denken: "Boah, ist die hübsch!" und gucken ein zweites Mal hin. Die Frau bekommt also immer mindestens doppelt so viele Blicke ab, wie andere Menschen. Immer angeguckt zu werden, ist bestimmt kein angenehmes Gefühl. Die Abwehr-Arroganz kann ich verstehen.
Aber warum ist die Frau denn nun so hübsch? Eine genaue Analyse ihrer Physiognomie verbietet sich, ich will nicht den Verdacht aufkommen lassen, ein Glotzer zu sein. Bei Spanner-TV kann ich jedoch live und in Ruhe beobachten: "Nun ja, die Augen sind leuchtend und groß, Platz für viel Arroganz", denke ich dann beispielsweise. Doch bei den Augen zu verweilen ist riskant. Denn irgendwie merken die menschlichen Augen, wenn in sie hinein geschaut wird – und gucken zurück. Und dann wäre die Heimlichkeit des Fensters futsch.
Also schnell weiter: "Die Nase ist ordinär, fast wäre sie etwas zu groß - harmonierten mit ihr nicht diese unverschämt vollen Lippen. Welch edles Symposium, zart geschwungene Linien, dezent die Wangenknochen, feine Brauen". Ich kann die Schönheit der Frau nach der Gesichts-Betrachtung zwar nicht verstehen, aber gut – das Leben ist kein Ponyhof.
Mit direktem Blick wäre so ein lebendiger Genuss nicht möglich. Die Schönheit einer Blume kann man direkt und so lange man will bis ins letzte Blütenblatt erfassen – die Blume sagt nicht: "Was glotzt Du so?!" Bei einer schönen Katze oder einem schönen Kanarienvogel geht es auch noch – wenn den Tieren die Glotzterei unangenehm wird und sie fliehen wollen, kettet man sie einfach an. Bei Menschen geht das nicht so einfach – es sei denn man fährt U-Bahn.
Nächstes Mal: Voyeuristisches Fenster Teil 2: Beobachten, wie man beobachtet wird.
Falco
am Mi., 01.11.2006 - 05:48
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Bin auf Teil 2 gespannt. Ich glaube, SpannerTV ist gar nicht soooo unbekannt. :)