Eine Rückblende auf den Bau der neuen Schanze in Garmisch

Eine Wettkampfschanze, die die legendäre, aber in die Jahrzehnte gekommene „Alte Dame“ ablösen sollte, da diese,
1934 noch aus Holz konstruierte, für die Olympischen Spiele 1936 errichtete, schon mehrfach erneuerte und Instand gesetzte, alte Stahlkonstruktion nicht mehr den Bestimmungen der FIS, des Internationalen Ski Verbands entsprach.
Von Anfang an gesetzt waren vier Architekturbüros, darunter auch so renommierte wie Auer+Weber oder Behnisch Architekten. Nach öffentlicher Ausschreibung des Wettbewerbs gesellte sich dazu noch die international bekannte Stararchitektin Zaha Hadid.
Doch der Zuschlag ging im Oktober 2006 an eine Planungsgemeinschaft bestehend aus dem Münchner Architekturbüro terrain: loenhart & mayr, den Ingenieuren Mayr+Ludescher und den Architekten Sieber+Renn aus Sonthofen im Allgäu.
Der herausragende und zukunftsweisende Entwurf der neuen Schanze, sowie ihr Gesamtkonzept inklusive Gestaltung des Aussenbereichs und des Sprungrichtergebäudes hatte alle Entscheidungsträger überzeugt. Dia Ausführungsplanungen konnten beginnen.
Die Zeit war kurz bemessen, denn schon Ende Dezember 2007 sollte die Neue sprungbereit sein. Das seit 55 Jahren stattfindende Neujahrsspringen in Garmisch als Teil der internationalen Vierschanzentournee und eines der wichtigsten Ereignisse im Garmischer Skizirkus war die absolute „dead line“. Deshalb wurde bereits am 1. Januar 2007, unmittelbar nach dem letzten Neujahrsspringen mit dem Rückbau der unzeitgemäß gewordenen alten Schanzenanlage begonnen, der mit der spektakulären Sprengung am 14. April 2007 abgeschlossen wurde.
Dies war zugleich der Startpfiff für den Bau der neuen Schanze. Denn innerhalb eines Zeitraums von nur knapp einem dreiviertel Jahr sollte diese bereits einsatzfähig sein. Es war undenkbar, dass Garmisch als einer der weltweit wichtigsten Austragungsorte für Skisprungwettkämpfe bei dem diesjährigen Wettbewerb am Neujahrstag nicht teilnehmen würde.
Am 27.11.2007 dann wurde es noch einmal richtig spannend, denn in der darauf folgenden Nacht sollte der „Heb auf“ beginnen und zugleich der Endspurt eingeleitet werden.
Das im liegenden Zustand errichtete, 490t schwere, 110m lange, 74m hohe und bis zu diesem Zeitpunkt nur auf den zwei unteren gespreizten Druckgurten lagernde Stahltragwerk wurde zentimeterweise aufgerichtet. Mittels zweier Zugpressen, die durch zwei dicke Bündel von Stahlseilen mit dem frei schwebenden unteren Ende des Absprungpunktes verbunden waren, sollte das filigrane Bauwerk Schritt für Schritt nach unten gezogen werden.
Nach 36 Stunden endlich konnte die nun 62m weit nach hinten auskragende Konstruktion mit der dafür vorgesehenen Stahlbetonzugwand kraftschlüssig verbunden werden.
Die endgültige Lage und Position war erreicht und der Blick auf den sogenannten Freischwinger freigegeben. Bei dieser letzten großen technischen Leistung schien es, als wäre das nach dem Prinzip eines Fachwerks ausgebildete primäre Tragwerk, das gigantische Kräfte in sich aufnimmt, lediglich an den zwei unteren beweglichen Gelenkauflagern verankert und quasi nach vorne und hinten frei in der Luft schwebend. Um dabei möglichst Veränderungen in der Konstruktion zu vermeiden wurden vorher alle Schrauben noch einmal kontrolliert und kräftig nachgezogen.
Diesem Umstand war es wohl auch zu verdanken, dass das vorher vermutete Ächzen des Stahlskeletts ausblieb und nur beim ersten Hub ein leichtes metallisches Knarzen zu hören war. Einer der Gründe für die liegende Montage der Schanze bestand darin, dass so das längere Teilstück leichter mit den transluzenten Fassadenplatten aus Polycarbonat verkleidet und somit Geld gespart hätte werden können.
Dieses Kalkül ging leider nicht ganz auf, da durch den frühen Wintereinbruch und die daraus resultierenden schwierigen Wetterbedingungen nicht schnell genug gearbeitet werden konnte. Die Fertigstellung der Fassadenbekleidung musste hinten angestellt werden, um das Tragwerk aufzurichten und noch genügend Zeit für das Einrichten der Anlaufspur und für den Treppen und Aufzugseinbau zu haben. Die Sprungbereitschaft hatte absolute Priorität.
Zwar ist die neue Garmischer Olympiaschanze noch nicht ganz fertiggestellt, die Leichtigkeit und Dynamik dieser Stahlkonstruktion ist jedoch heute schon für alle sichtbar.
Das Team um das Münchner Architekturduo terrain: loenhart&mayr hat hiermit wohl sicher eine Vorreiterposition im Schanzenbau des 21. Jahrhunderts übernommen und einen Prototypen für ähnliche Schanzen in der ganzen Welt entwickelt. Die Garmischer haben sich längst von ihrer „Alten Dame“ verabschiedet und schwärmen mit strahlendem Ausdruck im Gesicht von ihrer neuen, modernen Olympiaschanze,
Bürgermeister Thomas Schmid bemerkte: „Das ist unser wichtigstes Bauprojekt für die nächsten 50 Jahre.“ Der ehemalige Skiclub-Chef Toni Guggemoos meint sogar: „Dies wird das neue Wahrzeichen von Garmisch-Partenkirchen.“ Und noch einen Vorteil hat die Neue: im Unterschied zur alten K 115 Schanze befindet sich der K-Punkt der neuen Schanze bei 125m und macht so noch weitere Sprünge und somit neue Rekorde möglich.