Scheidung auf Russisch
Ein Russland-Krimi im Stil des bekannten Kaufmanns-/Gutsherrenmilieus von 1865: Die verheiratete junge Katja verfällt schon während ihrer Vergewaltigung in tiefe Liebe zum Täter und mäht in der Folge alle nieder, die sich ihr in Verfolgung dieser Liebe in den Weg stellen - drei Tote (in Nikolai Leskows Vorlage sogar vier) und dann der dramatisch notwendige Selbstmord. Auch die These scheint dabei zu stimmen: Mörderinnen liebt man nicht auf Dauer.
"Lady Macbeth von Mzensk" feierte am Montag in der Staatsoper München Premiere. Der Lerneffekt für den bürgerlichen Zuschauer unserer Tage ist dabei naturgemäß eher gering. Schon Ipsen hätte es leichter und mit der Aufforderung zum leichter-nehmen dargestellt und vor allem die naheliegende Frage aufgeworfen, ob nicht Katja die Grundkonstellation selbst veranlasst und mitverschuldet hat.
Der einstige Bayreuth-Schreck und jetzige Alt-Routinier Harry Kupfer hat in seiner aufwändigen Inszenierung einen sehr realistischen Action-Stil gewählt. An Horror (er selbst nennt es Groteske) hat er sich nicht getraut, wahrscheinlich wäre dazu die klassische Darstellung von Shakespeare auch geeigneter gewesen. Beleg: Die sehr indifferent daher kommende Geistererscheinung bei Katja. Der kruden Geschichte hat aber fehlende Abstraktion vielleicht sogar gut getan. Kupfers Einfälle hielten sich in Grenzen, das Premierenpublikum dankte es mit behaglich-gleichmäßigem Beifall. Es gibt halt für die Seelenlage nicht viel her, wenn sich der Mörder nach der Tat eine Zigarette ansteckt, im alten Russland schon gar nichts. Besser z.B. der Tanz an Spermien erinnernder Figuren im Halbtraum der beklagt kinderlosen Katja, bevor alles begann.
Auch Kupfer hat fehlerhaft überzogen, wenn er biedere Feldgendarmen in SS-artige Uniformen steckt, die doch gänzlich anders zu assoziieren sind. Ähnlich inkorrekt, wenn er im Schlussakt die Gefangenen auf ihrem Weg entgegen der im Libretto beklagten großen Hitze und Steppenstaub in winterliche Vermummung hüllt. Die sich aufdrängende Assoziation mit den doch unvergleichlich anders veranlassten Todesmärschen aus den KZ vom April 1945 wird dabei noch durch die Toten am Wegesrand verstärkt.
Die Personenregie konnte bei den überzeugenden Sänger/Schauspielern folgenlos zurückstehen, Lichtregie wurde nicht führend eingesetzt.
Die Aufführung ist in ihrer musikalischen Seite ein großes Erlebnis. Schostakowitsch zeichnet mit fulminanter frischer Moderne in der Musik nicht nur Dialoge, sondern selbst die Gedanken. Am Rande: Die Komposition des Orgasmus – kurz, aber warum nicht - lässt den „Bolero“ blass erscheinen.
Die vorzüglichen und begeisternden Sänger, voran Anja Kampe, leben und lieben ihre großen Rollen – da war der Beifall reichlich knapp.
Die Oper wird im nächsten Jahr in Europa noch mehrfach neu inszeniert werden. In München noch vier Vorstellungen im Dezember, dann noch einmal im Festspiel-Juli.