"Hass" in den Kammerspielen

Harte Landung

Als vor zwei Jahren die Pariser Banlieues in Flammen standen, war Regisseur Mathieu Kassovitz bei den Medien ein gefragter Mann. Zehn Jahre zuvor hatte er mit "La Haine" ein beeindruckendes Dokument der Situation in den Pariser Vorstadt-Siedlungen geschaffen.

Ein Mann, der aus dem 50. Stock eines Hochhauses fällt und sich zur Beruhigung ständig wiederholt "Bis hierher lief's noch ganz gut, bis hierher lief's noch ganz gut..." war das zentrale Bild für die soziale Zeitbombe, die noch jahrelang weiter tickte um schließlich im Herbst 2005 unter den Augen der Weltöffentlichkeit zu explodieren.

Als es zu den wochenlangen Ausschreitungen kam, hatte Kassovitz eine deutliche Antwort: Innenminister Sarkozy ist schuld. Heute ist der Hardliner Präsident und der Präsident ist verliebt. Die französische Öffentlichkeit interessiert sich mittlerweile mehr für sein Schlafzimmer als für die gesellschaftlichen Missstände im Land.

Während Sarkozy als erster Zwerg im Staat mit Schneewittchen im Schlepptau durch die Welt turtelt, werden an den sozialen Brennpunkten Frankreichs weiterhin täglich Autos angezündet, finden in den Banlieues weiterhin demütigende und massive Polizeikontrollen statt. Weiterhin werden unerwünschte Ausländer gemäß Sarkozys Quotenpolitik festgenommen und abgeschoben.

In den Münchner Kammerspielen ist "Hass" als betont grelle Inszenierung von Sebastian Nübling gelandet. "Hass" wird zur Marke, die sich als poppiges Logo auf T-Shirts und Pappbechern manifestiert, in denen vor der Vorstellung Popcorn verteilt wird.

Drei junge Schauspielerinnen hüpfen als Vinz, Said und Hubert durch das Bühnenbild, das ausschließlich aus Pappkartons vor einer stilisierten Müllkippe besteht. Der harte Realismus des Originals würde auf der Bühne nicht funktionieren, so greift Nübling zum Mittel der Abstraktion - und das nicht zu knapp.

Die clownesken Kostüme, in denen sie stecken, sind ein Sammelsurium postmoderner Bezüge, so wie Huberts lange Gumminase und Hausmeister Krause-Hut: Pinocchio, Clockwork Orange, McCarthy.

Während Vinz in "La Haine" im Badezimmer die berühmte Spiegel-Szene aus Taxi Driver imitiert, drückt er sich einen Pickel aus. Mit über den Kopf gezogenem Karton wiederholt auch "Vinz" Brigitte Hobmeier auf der Theaterbühne die Szene.

Alles spiegelt sich in allem: Das Theater zitiert einen Film, der einen Film zitiert. Und am Ende landet das alles erneut auf der Leinwand. Nicht auf der großen des Kinos, sondern auf dem kleinen Handydisplay von "Said" Katharina Schubert, die eifrig mitgefilmt hat. Und wer weiß, vielleicht gibt's das ganze bald auf Youtube zu sehen.

Die polyphonen Mobiltelefone des Trios werden zu zentralen Allzweck-Requisiten in Nüblings Inszenierung, neben der gefundenen Pistole eines Polizisten, mit der Vinz einen durch Polizeigewalt getöteten Freund rächen möchte.

Das Spiel mit dem Filmmaterial weiß in einzelnen Szenen zu überzeugen, worauf die Inszenierung insgesamt hinaus will, wird im Geflecht der Bezüge weniger klar - manches bewegt sich scharf an der Grenze zur Effekthascherei. Putz rieselt nach Schüssen von der Decke, eine Wurst fliegt durchs Publikum.

Das offene und schockierende Ende von Kassovitz Film lässt den Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren. Progressive Französisch-Lehrer dürften diesen Effekt kennen, wenn sie den Film in der Oberstufe zeigen. In den Kammerspielen fiel die Landung weniger hart aus - heftigen Premieren-Applaus gab es am Ende trotzdem. Würste flogen nicht auf die Bühne.

Fotos: Arno Declair

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