"Am härtesten war die Zeit zwischen 14 und 18"
Der 32-jährige Münchner Philipp Mattheis hat ein Buch über seine Jugend in einem Vorort von München geschrieben. In "In Dingenskirchen" (rowohlt, Oktober 2011, 8,99 Euro) geht um Randale an der Bushaltestelle, Saufgelage hinter der Scheune, Reihenhäuser und die Sehnsucht nach der großen, weiten Welt.
muenchenblogger: War das Leben im Umland wirklich so schlimm?
Philipp Mattheis: Es war nicht alles schlecht. Natur hat ja auch was. Allerdings ist die rund um München auch nicht so schön, wie immer alle tun. Meistens handelt es sich doch um flurbereinigte Maisfelder, lange, gerade Landstraßen und ab und zu mal ein Flecken Nadelwald. Wirklich schlimm aber waren die ewig weiten Wege bis zum nächsten Ort mit S-Bahn-Station. Das Minimum waren fünf Kilometer Landstraße, die man mit Trampen, dem Fahrrad oder besoffen zu Fuß schaffen musste. Busse fahren in die meisten Dörfer ja nur fünfmal am Tag.
Wir dachten immer: Da in der Stadt, da sind alle wahnsinnig cool. Und für die sind wir Bauern vom Land. Was ja auch irgendwie stimmte. Andererseits haben wir die Stadt auch immer verklärt und idealisiert. Wir dachten: Die leben ein vollkommen anderes Leben da. In dem Film „München - Geheimnisse einer Stadt“ von Michael Althen und Dominik Graf heißt es: „Die unbekannten Partien sind vorerst vor allem eines: Große Versprechungen.“ Das trifft es ganz gut. Besser wurde das alles erst mit dem Führerschein und als wir dann zum Studieren in die Stadt zogen. Dann stellt man fest: Die kochen ja auch nur mit Wasser. Mittlerweile glaube ich, dass man als Jugendlicher im Umland sogar die verrückteren Geschichten erlebt – eben weil alle denken: Ich verpasse was, wenn ich nicht irgendwas Durchgedrehtes mache.
muenchenblogger: Gab es auch schöne Seiten?
Philipp Mattheis: Als Kind war alles gut. Wir konnten spielen, wo wir wollten, mussten nicht ständig Angst vor Autos haben. Ich erinnere mich an so viele Kleinigkeiten, wie sich Moos unter dem Fuß anfühlt, wie eine grüne Haselnuss schmeckt, wie ganz frische, noch warme Milch riecht. Wir haben Baumhäuser im Wald gebaut, Staudämme am Bach errichtet und aus Holz Schwerter und Bogen gebastelt. Als Stadtkind hat man solche Erfahrungen wahrscheinlich kaum.
Aber mit der Pubertät wurde das alles langweilig. Am härtesten war die Zeit zwischen 14 und 18. Kein Führerschein bedeutete keine Freundin. Keine Freundin bedeutete mit ebenfalls gefrusteten Gleichaltrigen auf der Hochsprungmatte am Sportplatz rumgammeln und darauf warten, dass etwas passiert. Es passiert aber nie etwas.
muenchenblogger: Hast du Tipps für Jugendliche, die im Umland aufwachsen?
Philipp Mattheis: Ich glaube, heute ist es ein bisschen leichter als in den Neunzigern. Damals gab es noch kein Internet und das einzige Fenster zur Welt waren MTV und VIVA. Das konnte aber nur empfangen, wer einen Kabel- oder Satellitenanschluss hatte. Außerdem musste man stundenlang warten, bis endlich das Video kam, das man sehen wollte. Heute fühlt man sich vielleicht nicht mehr ganz so abgeschnitten, weil man sich im Netz über alles informieren kann.
Ansonsten kann ich nur Mut machen: Es wird alles besser.
Kommentare
Ja ja, du guten alten Zeiten.
Ja ja, du guten alten Zeiten. Das war damals Mitte der 80‘er schon ein großer Fortschritt, Kabelfernsehen bzw. SAT zur Verfügung stand. Ich wuchs mit nur drei Programmen auf und 90% der paar Sendungen war nix für Kinder. Kurz nach Mitternacht war Sendeschluss und es spielte die Deutsche Nationalhymne.
Also Anja, du bist glaub ich
Also Anja, du bist glaub ich die erste die davon berichtet...
gäääähn